Die zunehmende Digitalisierung und insbesondere der Einzug KI-gestützter Technologien in den verschiedensten Bereichen unseres Lebens verändern unseren Alltag im Privaten nicht weniger als unser Zusammenleben in öffentlichen Räumen. Im Rahmen der Vortragsreihe wollen wir anhand ausgewählter Problemfelder verschiedene ethische Aspekte der zunehmenden Einführung digitaler Technologien diskutieren. Kolleg*innen, Studierende und alle anderen Interessierten sind herzlich eingeladen.
10. November 2021
Die Maschine als Gegenüber
Ort: Hauptgebäude, Straße der Nationen 62, R 316
Zeit: 18 bis 20 Uhr
Anthropomorphismus in der (öffentlichen) Debatte über künstliche Intelligenz
(Prof’in Dr. Birgit Beck, TU Berlin)
In der Tierforschung, Tierphilosophie und -ethik ist Anthropomorphismus in der Regel negativ konnotiert. Tiere bzw. tierliche Fähigkeiten und Eigenschaften zu anthropomorphisieren, gilt als unwissenschaftlich, da dadurch – zumindest aus differentialistischer Perspektive – die differentia specifica, das distinkte menschliche Wesen, das uns angeblich von Tieren unterscheidet und abgrenzt, unterlaufen wird. Dieses Phänomen wird häufig als problematisch empfunden.
Im Alltag dagegen neigen wir selbstverständlich dazu, verschiedene Lebewesen und Dinge zu anthropomorphisieren. Das jeweilige „Haustier“ ist das klügste und verständigste der Welt, der Hausverstand weiß, dass Pflanzen schöner blühen, wenn man mit ihnen spricht oder ihnen bestimmte Musik vorspielt, manche Menschen geben ihren Fahrzeugen Namen und wir schimpfen auf unseren Rechner, wenn das störrische Ding wieder einmal den Arbeitsablauf verkompliziert. Die Entwicklung „sozialer“ Technologien verstärkt dieses Phänomen. Alexa fordert uns auf, mit ihr zu sprechen, und viele tun dies – vermutlich ohne über den Sinn dieses Verhaltens nachzudenken.
In der Forschung über Künstliche Intelligenz, Human-Machine- bzw. Human-Robot-Interaction wird Anthropomorphismus offenbar nicht als Problem angesehen, sondern als erwünschtes Phänomen. Solange die betreffenden „intelligenten“ Systeme bzw. Artefakte nicht zu menschlich anmuten und uns ins Uncanny Valley stürzen, fördert ein gewisses Maß an Anthropomorphisierung die Interaktionsbereitschaft. Wir sind fähig, Beziehungen zu Dingen einzugehen, die sprachliche und körperliche Handlungen und sozialen Austausch gut zu simulieren in der Lage sind. Dies wird häufig als vorteilhaft betrachtet.
Im Vortrag werde ich die Diskrepanz der Einschätzung von Anthropomorphismus bezüglich Tieren und (KI-)Artefakten anhand der Kategorien des naiven, emotionalen, kognitiven und heuristischen/pragmatischen Anthropomorphismus untersuchen und nach Gründen für die unterschiedliche Bewertung der Anthropomorphisierung von Tieren und Artefakten fragen.
Zur Möglichkeit der Freundschaft zwischen Menschen und Robotern
(Dr. Svenja Wiertz, Universität Freiburg)
Wir erleben eine zunehmende Technisierung unserer Gesellschaft – in immer mehr Handlungsfeldern sollen und werden Maschinen als Interaktionspartner eingeführt, wo wir früher auf Menschen gestoßen sind. In der Pflege, im Haushalt, als Spielgefährten im Kinderzimmer sollen uns Roboter und andere Formen künstlicher Intelligenz das Leben erleichtern und dabei möglichst freundlich und sympathisch erscheinen. Aber wie weit kann die Interaktion mit Maschinen zwischenmenschliche Interaktionen ersetzen? Und wo genau liegen wesentliche Unterschiede?
Einige typische Werte der Freundschaft können klarerweise auch in der Interaktion mit Robotern verwirklicht werden, wie etwa Freude an gemeinsamen Interaktionen. Die Verwirklichung anderer Werte wie etwa der Entwicklung sozialer Kompetenzen erscheint schwieriger, aber nicht notwendig unmöglich. Der wesentliche Unterschied ist hingegen in der Konzeption von Freund*innen als gleichen zu suchen – zumindest sofern wir nicht auf utopische Szenarien der Mensch-Maschinen-Interaktion, sondern auf konkrete gegenwärtige Entwicklungen blicken. Aktuelle Vermarktungsstrategien, die Roboter als unsere neuen besten Freunde darstellen, so soll der Vortrag zeigen, täuschen darüber hinweg, dass Gegenseitigkeit ein wesentliches Element von Freundschaften darstellt. Obwohl auch Mensch-Maschinen-Interaktionen aus verschiedenen Perspektiven als wertvoll begriffen werden können, sollten wir sie nicht voreilig mit zwischenmenschlichen Beziehungen gleichsetzen.
Zur Person: Dr. Svenja Wiertz promovierte 2019 zu Freundschaftskonzeptionen in der Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seitdem hat sie sich in einigen Artikeln mit ethischen Fragen der Mensch-Maschinen-Interaktion auseinandergesetzt. Aktuell arbeitet sie am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin in einem Forschungsprojekt zu ethischen Fragen der Datennutzung in der medizinischen Forschung.
8. Dezember 2021
Un/smarte soziale Maschinen
Ort: Online via zoom
Zeit: 18 bis 20 Uhr
Smart Parenting? Wie die „Digitalisierung“ die Eltern-Kind-Beziehung beeinflusst
(Dr. Tatjana Noemi Tömmel, TU Berlin)
Der Megatrend der Digitalisierung verändert unsere Lebenswelt und lässt auch das Familienleben nicht unberührt. Während digitale Technologien von vielen als praktisches und effizientes Werkzeug begrüßt werden, zeigen empirische Studien, wie sich ihre Nutzung auf die soziale Interaktion zwischen Eltern und Kindern auswirkt: Je mehr Eltern digitale Technologien nutzen, desto weniger responsiv und empathisch sind sie ihren Kindern gegenüber. Untersuchungen zufolge führen die auf „Technoference“ – also auf die Störung der Beziehung und Interaktion durch Techniknutzung – zurückzuführenden dysfunktionalen Problemlösungsstrategien zu mehr internalisierten und externalisierten Verhaltensauffälligkeiten auf Seiten der Kinder. In meinem Beitrag werde ich diese empirischen Ergebnisse technikphilosophisch einordnen und ethisch bewerten. Ich will erstens zeigen, dass es spezifische Probleme des Mediums selbst sind, welche die „Technoference“ hervorrufen und zweitens deutlich machen, warum gerade die Eltern-Kind-Beziehung davon besonders betroffen ist. Dabei gehe ich auf die besondere ethische Struktur dieser Beziehung ein und erläutere, warum eine starke Technologienutzung es Eltern erschwert, ihren spezifischen moralischen Verpflichtungen gegenüber ihren Kindern nachzukommen.
Können KI-basierte Health Apps paternalistisch sein
(PD Dr. Michael Kühler, KIT und Universität Münster)
Health Apps dienen typischerweise zwei Zwecken: erstens der Aufzeichnung gesundheitsrelevanter Daten und zweitens der Beeinflussung des Verhaltens hin zu einem gesünderen Lebensstil. Geht man technologisch nun einen Schritt weiter hin zu KI-basierten Health Apps, so würde sich die Analyse der individuellen Gesundheitsdaten, die Formulierung gesundheitsrelevanter persönlicher Ziele sowie das Anstoßen von passenden positiven Verhaltensänderungen künstlicher Intelligenz bedienen. KI-basierte Health Apps würden somit (in einem schwachen Sinne) autonom auf eine gesundheitsverbessernde Verhaltensänderung ihrer Nutzer:innen hinwirken, ohne dass dies den Nutzer:innen hinreichend bewusst oder explizit von ihnen gewollt sein könnte. Dies wirft eine bislang so gut wie gar nicht diskutierte Frage auf: Inwiefern würden KI-basierte Health Apps damit paternalistisch agieren können? Der Vortrag ist der Beantwortung dieser Frage gewidmet und skizziert hierfür einen leicht modifizierten, auf nicht-personale „Akteure“ anwendbaren Paternalismusbegriff.
12. Januar 2022
Das Digitale in der Gesellschaft
Ort: Online via zoom
Zeit: 18 bis 20 Uhr
Die praktische Ethik der Partizipation: Wie und mit welchen Implikationen werden Menschen an Technikgestaltung beteiligt?
(Dr. Andreas Bischof, TU Chemnitz)
“Digitalisierung” wird in der Regel als technisches Projekt verstanden, analoge Vorgänge aus Arbeit, Alltag oder Politik in digitale Technologien zu übersetzen. Dieses Verständnis ist aus zwei Gründen problematisch: Einerseits erschöpft sich Digitalisierung nicht in einer technischen “Kolonialisierung” von vermeintlich vor-digitalen Gesellschaftsbereichen, sondern basiert vielmehr auf kulturellen und sozialen Triebfedern, die durch die Rede von “Technik als Lösung” zusehends unsichtbar werden. Andererseits läuft die Vorstellung von Digitalisierung als vor allem technischem Prozess Gefahr, Menschen und Alltagswelten in einer sehr einseitigen Form zu addressieren: Als Nutzerinnen, an deren Technikakzeptanz noch gearbeitet werden muss.
Um dieser drohenden Einseitigkeit im Verhältnis Mensch & Technik zu begegnen, setzen Fördergeber, Forschende und Firmen zunehmend auf Partizipation in der Technikgestaltung. Mit der Verwendung dieses Begriffs ist sowohl das übergeordnete Ziel der Teilhabe von Menschen, die von Technologien betroffen sind, als auch der Modus partizipativer Technikgestaltung gemeint, die sich in verschiedener Weise für den Input von Nicht-Technikerinnen öffnet. Aber unter welchen Bedingungen und mit welchen Implikationen geschieht das? Der Vortrag erklärt die Grundlagen partizipativer Methoden, bringt Beispiele aus der Entwicklungspraxis und problematisiert anschließend insbesondere Zeitpunkte und Gestaltungsräume für Partizipation in der Technikgestaltung.
Soziologische Beobachtungen zur Vergesellschaftung Digitaler Assistenten
(Prof. Dr. Henning Laux, TU Chemnitz)
Digitale Sprachassistenten wie Alexa, Siri oder Google Assistant gelten als eindrucksvoller Beleg für die vielfältigen Fortschritte auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Der Vortrag interessiert sich für die Vergesellschaftung dieser sprachbegabten Wesen. Dabei geht es zum einen um die sozialen Verheißungen, Ängste und Risikokalküle, die mit ihrer Verbreitung in den Smart Homes und Cars der Gegenwart verknüpft sind. Und zum anderen fragt der Vortrag nach den Strategien, mit denen innerhalb des Innovationsprozesses immer wieder versucht wird, mit diesen gesellschaftlichen Erwartungen umzugehen.
3. Februar 2022
Digitalisierung und politische Kultur
Ort: Online via zoom
Zeit: 18 bis 20 Uhr
Das Konzept der Wahrheit in der digitalen Demokratie – Überlegungen zu einem komplexen Verhältnis
(Prof’in Dr. Dagmar Borchers, Universität Bremen)
Viele Menschen, auch Philosophinnen und Philosophen betrachten das Konzept der Wahrheit heute eher skeptisch und haben dafür zum Teil pragmatische, zum Teil philosophische Gründe. Manche meinen gar, man könne darauf verzichten. In meinem Vortrag möchte ich zeigen, dass die Wahrheit in unserer demokratischen Gesellschaft, speziell für den Bereich der Politik und politische Entscheidungen, unverzichtbar ist. Dabei nehme ich Bezug auf Hannah Arendts berühmten Aufsatz “Wahrheit und Politik” von 1964. Ausgehend von ihren Überlegungen möchte ich zeigen inwiefern das Internet und die sozialen Medien Entwicklungen vorantreiben, die Arendt bereits gesehen und angesprochen hat und ihr Votum für die Unverzichtbarkeit der Kategorie der Wahrheit und deren Relevanz für die geistigen Grundlagen unserer Gesellschaft bekräftigen. Auch und gerade im Zeitalter der Digitalisierung sollte die Wahrheit eine zentrale Wertvorstellung in der Entwicklung und Gestaltung einer digitalisierten Welt sein und bleiben.
Digitaler Populismus
(Prof. Dr. Sven Engesser, TU Dresden)
Die Digitalisierung gibt der Politik ein besonderes Sprachrohr an die Hand, von dem viele Populistinnen bereits seit langem träumen. Mit Social Media verfügen sie nun über eine direkte Verbindung zu ihren Wählerinnen, ohne auf die Vermittlung durch die journalistischen Massenmedien mit ihren professionellen Kontrollmechanismen und Auswahlkriterien länger angewiesen zu sein. Sie können weitgehend ungehindert ihre ideologischen Fragmente verbreiten und ihren aggressiven Stil pflegen. Wie gehen sie dabei vor? Welcher Narrative bedienen sie sich? Was bedeutet das für die politische Kommunikation? Und welche Risiken entstehen dadurch für die Gesellschaft? Diesen Fragen möchte ich in meinem Vortrag nachgehen.